Veröffentlicht am März 15, 2024

Zusammenfassend:

  • Die Stärkung des Vagusnervs ist ein Training zur Erhöhung Ihrer vagalen Grundspannung, keine Sammlung zufälliger „Hacks“.
  • Neurophysiologische Präzision bei Techniken wie Kälteexposition und Atmung ist entscheidend für den Erfolg.
  • Ein strukturierter 4-Wochen-Plan, der auf „Habit Stacking“ basiert, ermöglicht eine nahtlose Integration in den deutschen Alltag.
  • Aktive Regeneration durch soziale Koregulation oder Stille ist passiver Bildschirmzeit zur Stressreduktion überlegen.

Fühlen Sie sich oft grundlos angespannt, reagieren gereizt oder leiden unter körperlichen Symptomen wie Verspannungen und Verdauungsproblemen? Sie sind damit in Deutschland nicht allein. Viele Menschen greifen zu altbekannten Methoden wie Yoga, Meditations-Apps oder einem Spaziergang, um dem chronischen Stress zu entkommen. Diese Ansätze haben ihre Berechtigung, doch oft bleiben sie an der Oberfläche und führen nicht zur erhofften tiefgreifenden und dauerhaften Erleichterung. Sie behandeln die Symptome, aber nicht die Wurzel des Problems: ein dysreguliertes autonomes Nervensystem.

Der wahre Schlüssel zur Stressresilienz liegt nicht darin, gelegentlich zu entspannen, sondern darin, die Grundspannung Ihres Nervensystems aktiv zu trainieren. Der Vagusnerv, der Hauptakteur des parasympathischen Systems – unseres eingebauten „Entspannungsnervs“ – ist wie ein Muskel. Er kann und muss trainiert werden. Doch was, wenn der Schlüssel nicht in stundenlangen Übungen liegt, sondern in der neurophysiologischen Präzision kurzer, gezielter Interventionen? Was, wenn es weniger darum geht, *was* Sie tun, sondern *wie* Sie es tun?

Dieser Artikel bricht mit dem Mythos der schnellen „Vagus-Hacks“. Stattdessen bieten wir Ihnen ein wissenschaftlich fundiertes, strukturiertes 8-Wochen-Programm, das auf den Mechanismen der Polyvagal-Theorie aufbaut. Wir erklären die physiologischen Hintergründe hinter jeder Technik – von der korrekten Anwendung der Kältetherapie nach deutscher Kneipp-Tradition bis hin zur spezifischen Atemtechnik, die Ihr System in Minuten herunterfährt. Sie lernen, wie Sie Ihren Vagusnerv gezielt aktivieren, Ihre Stressresistenz von Grund auf neu aufbauen und Ihr inneres Gleichgewicht zurückgewinnen, ohne Ihren Alltag komplett umkrempeln zu müssen.

In den folgenden Abschnitten finden Sie einen detaillierten Leitfaden, der Sie durch die wissenschaftlichen Grundlagen und praktischen Übungen führt. Entdecken Sie, wie Sie Ihr Nervensystem gezielt trainieren und Ihre Resilienz nachhaltig stärken können.

Warum erhöhen tägliche Kaltduschen Ihre Stresstoleranz messbar um 35%?

Der Gedanke an eine kalte Dusche am Morgen löst bei vielen Unbehagen aus, doch aus neurophysiologischer Sicht ist dies eines der effektivsten Trainingsinstrumente für Ihr Nervensystem. Der Schlüssel liegt im Konzept der Hormesis: ein kurzer, kontrollierter Stressreiz, der den Körper dazu zwingt, sich anzupassen und stärker zu werden. Der Kälteschock aktiviert schlagartig den Sympathikus, doch die darauffolgende bewusste Beruhigung der Atmung trainiert den Vagusnerv, das System schnell wieder in den parasympathischen Entspannungszustand zurückzuführen. Dieses „Umschalten“ wird mit jeder Anwendung effizienter.

Diese Praxis hat in Deutschland eine lange Tradition, die auf Sebastian Kneipp zurückgeht, der seine eigene Tuberkulose im 19. Jahrhundert durch Bäder in der eiskalten Donau heilte. Seine Lehre bildet die Grundlage der modernen Kneipp-Therapie. Die Wirkung ist heute messbar: Sportwissenschaftliche Studien zeigen, dass regelmäßiges Kältetraining die Herzfrequenzvariabilität (HRV), einen direkten Indikator für die Vagusnerv-Aktivität und Stressresilienz, signifikant verbessert. So konnte nachgewiesen werden, dass eine 35% Verbesserung der Herzratenvariabilität bei Probanden auftrat, die regelmäßig Kältereizen ausgesetzt waren. Dies bedeutet eine höhere Anpassungsfähigkeit des Herzens an Stressoren.

Für den Einstieg ist kein Eisbad nötig. Ein einfaches Protokoll für die Mietwohnung genügt, um die vagale Grundspannung zu trainieren. Beginnen Sie langsam und steigern Sie sich, um das Nervensystem nicht zu überfordern.

Das 30-Sekunden-Kälteprotokoll für den Einstieg

  1. Beginnen Sie Ihre Dusche wie gewohnt mit warmem Wasser.
  2. Reduzieren Sie die Temperatur am Ende der Dusche über 10-15 Sekunden schrittweise auf ganz kalt.
  3. Halten Sie das kalte Wasser für 30 Sekunden, beginnend an den Füßen und Händen und langsam zu Herz und Kopf hinarbeitend.
  4. Atmen Sie währenddessen ruhig und kontrolliert durch die Nase ein und lang durch den Mund aus, um den Vagusnerv aktiv zu unterstützen.
  5. Wärmen Sie sich danach aktiv durch Bewegung oder Abtrocknen auf, anstatt sofort wieder heiß zu duschen.

Wie aktivieren Sie durch Atemtechnik in 5 Minuten Ihren Entspannungsnerv?

Atmung ist die direkteste und schnellste Methode, um den Zustand Ihres autonomen Nervensystems zu beeinflussen. Während viele von „tiefer Bauchatmung“ sprechen, liegt die neurophysiologische Präzision in spezifischen Mustern, die den Vagusnerv gezielt aktivieren. Eine der wirksamsten Techniken ist der „physiologische Seufzer“ (Physiological Sigh), eine von Neurowissenschaftlern der Stanford University erforschte Methode, die das Nervensystem in kürzester Zeit herunterreguliert.

Der Mechanismus dahinter ist einfach, aber genial: Die Lungenbläschen (Alveolen) neigen bei Stress dazu, in sich zusammenzufallen, was den Gasaustausch beeinträchtigt und dem Gehirn ein Alarmsignal sendet. Der doppelte, schnelle Einatemzug beim physiologischen Seufzer bläht diese Alveolen wieder vollständig auf. Das anschließende lange Ausatmen verlangsamt die Herzfrequenz über den Vagusnerv und signalisiert dem Gehirn „Gefahr vorüber“. Diese Technik ist so effektiv, dass sie die Herzratenvariabilität sofort messbar positiv beeinflusst und in akuten Stressmomenten – vor einem wichtigen Meeting oder in einer vollen S-Bahn – unauffällig angewendet werden kann.

Detailaufnahme der Atemtechnik mit Fokus auf Brustkorb und Zwerchfell

Die gute Nachricht für gesetzlich Versicherte in Deutschland ist, dass die Bedeutung solcher Techniken anerkannt wird. Viele Krankenkassen unterstützen Präventionskurse zur Stressbewältigung. So erstattet beispielsweise die Heimat Krankenkasse jährlich bis zu zwei Präventionsmaßnahmen mit bis zu 200 Euro, wozu auch zertifizierte Atemkurse gehören können. Es lohnt sich, bei der eigenen Kasse nachzufragen.

Anleitung zum physiologischen Seufzer

  1. Atmen Sie zweimal kurz und schnell hintereinander durch die Nase ein, ohne zwischendurch auszuatmen (der erste Atemzug füllt die Lunge, der zweite dehnt sie maximal).
  2. Atmen Sie anschließend einmal lang und langsam (ca. 4-6 Sekunden) durch den Mund wieder aus.
  3. Führen Sie 3-5 dieser Zyklen durch.
  4. Ideal für die unauffällige Anwendung in stressigen Alltagssituationen wie im Büro oder öffentlichen Verkehrsmitteln.
  5. Der Effekt einer sofortigen Beruhigung des Nervensystems ist oft direkt spürbar.

Ashwagandha oder Magnesium: Welches Supplement reguliert Stresshormone besser?

Bei der Suche nach Unterstützung aus der Natur zur Stressregulation stoßen viele auf Ashwagandha und Magnesium. Beide haben ihre Berechtigung, wirken aber über völlig unterschiedliche neurophysiologische Pfade und bergen unterschiedliche Risikoprofile, was eine differenzierte Betrachtung unerlässlich macht. Ashwagandha, ein Adaptogen aus der ayurvedischen Medizin, wirkt direkt auf die HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) und kann die Cortisolproduktion modulieren. Es wird oft bei chronischem Stress und Burnout-Symptomen eingesetzt.

Magnesium hingegen ist ein essentieller Mineralstoff, der eine Schlüsselrolle bei der Funktion des Nervensystems spielt. Es unterstützt die Wirkung des Neurotransmitters GABA, der eine beruhigende und entspannende Wirkung hat. Ein Mangel an Magnesium, der in Stressphasen häufig auftritt, kann zu Symptomen wie Muskelverspannungen, Nervosität und Schlafstörungen führen. Magnesium wirkt also eher unterstützend und ausgleichend auf das Nervensystem.

Besonders wichtig für Verbraucher in Deutschland ist die aktuelle Sicherheitsbewertung. Während Magnesium bei korrekter Dosierung als sehr sicher gilt, gibt es bei Ashwagandha Bedenken. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat aufgrund von Berichten über mögliche Leberschäden eine offizielle Warnung herausgegeben. Die Behörde rät derzeit von der Einnahme Ashwagandha-haltiger Nahrungsergänzungsmittel ab, bis die Sicherheit geklärt ist. Eine Studie bestätigt, dass das BfR und andere europäische Behörden 2024 diese Warnung aufgrund möglicher Gesundheitsrisiken ausgesprochen haben. Magnesium ist daher die deutlich sicherere und oft passendere Wahl zur grundlegenden Unterstützung des Nervensystems bei Stress.

Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Unterschiede zusammen, um Ihnen eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen.

Vergleich Ashwagandha vs. Magnesium bei Stress
Kriterium Ashwagandha Magnesium
Wirkprinzip Adaptogen, HPA-Achse Modulation GABA-Rezeptor Unterstützung
Einsatzgebiet Chronischer Stress, Burnout Muskelentspannung, Schlaf
Dosierung 300-600mg KSM-66 Extrakt 300-400mg elementares Mg
Sicherheitsprofil BfR warnt vor Leberschäden Allgemein sicher

Die passive Erholung-Falle, die Bildschirmzeit als Entspannung missversteht

Nach einem langen Arbeitstag auf dem Sofa zu versinken und durch soziale Medien zu scrollen oder eine Serie zu schauen, fühlt sich für viele wie die verdiente Entspannung an. Neurophysiologisch betrachtet ist es jedoch oft das Gegenteil. Passive Bildschirmzeit ist keine echte Erholung für das autonome Nervensystem. Das Gehirn wird weiterhin mit einer Flut von visuellen und akustischen Reizen bombardiert. Dopamin-getriebene Belohnungszyklen und emotional aufgeladene Inhalte halten das sympathische Nervensystem in einem Zustand latenter Aktivierung. Es ist eine Ablenkung von Stress, aber keine Regulation von Stress.

Die Polyvagal-Theorie liefert hierzu eine entscheidende Erkenntnis: Der Mensch ist ein soziales Wesen, und unser Nervensystem reguliert sich am effektivsten im Kontakt mit anderen. Dieses Prinzip wird als soziale Koregulation bezeichnet. Ein ruhiges, wertschätzendes Gespräch mit einem Freund, gemeinsames Lachen oder auch nur die präsente, ruhige Anwesenheit einer vertrauten Person sendet dem Vagusnerv kraftvolle Signale der Sicherheit. Diese Signale sind weitaus wirksamer zur Aktivierung des parasympathischen Systems als jede passive Mediennutzung.

Anstatt also abends zum Smartphone zu greifen, sollten Sie bewusst Aktivitäten wählen, die echte Regeneration fördern. Der deutsche Alltag bietet hierfür zahlreiche, oft vergessene Möglichkeiten, die tief in der Kultur verankert sind und sowohl soziale Koregulation als auch die Verbindung zur Natur fördern.

Deutsche Alternativen zur passiven Bildschirmzeit für echte Erholung

  • Der klassische Feierabend-Spaziergang im nahegelegenen Park oder Waldstück, um den Kopf freizubekommen.
  • Gartenarbeit oder Balkonbepflanzung, eine meditative Tätigkeit, die erdet und verbindet.
  • Ein Besuch in der lokalen Therme oder Sauna, eine tief in der deutschen Kultur verankerte Form der körperlichen Entspannung.
  • Engagement im örtlichen Sportverein oder einer anderen Gemeinschaft, die sozialen Zusammenhalt fördert.
  • Der traditionelle Kaffeeklatsch, der als Ritual der sozialen Koregulation dient und zwischenmenschliche Verbindung stärkt.

Trainieren Sie Vagusaktivierung präventiv oder erst bei akutem Stress?

Eine der häufigsten Fragen im Kontext der Vagusnerv-Stimulation ist die nach dem richtigen Timing: Sollte man erst aktiv werden, wenn der Stresspegel hoch ist, oder die Übungen präventiv in den Alltag integrieren? Die Antwort aus neurophysiologischer Sicht ist eindeutig: beides. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Strategien mit unterschiedlichen Zielen, die sich ideal ergänzen. Man kann es mit einem „Stress-Notfallkoffer“ und einem „Grundlagentraining“ vergleichen.

Die Akut-Interventionen sind schnelle, kurz wirksame Techniken, die als „Stress-Unterbrecher“ dienen. Ihr Ziel ist es, eine eskalierende sympathische Reaktion sofort zu stoppen und das System augenblicklich zu beruhigen. Techniken wie der physiologische Seufzer oder das Gesicht für einige Sekunden in eiskaltes Wasser zu tauchen (der sogenannte Tauchreflex) gehören in diesen Notfallkoffer. Sie sind Retter in der Not, ändern aber nichts an der grundlegenden Anfälligkeit für Stress.

Das präventive Training hingegen zielt darauf ab, die vagale Grundspannung (oder den „vagalen Tonus“) langfristig zu erhöhen. Hier geht es darum, die Resilienz des Nervensystems zu stärken, sodass es auf Stressoren von vornherein gelassener reagiert und schneller wieder ins Gleichgewicht findet. Tägliche, kurze Einheiten wie Meditation, kontrollierte Kälteexposition oder regelmäßige Atemübungen gehören zu diesem Grundlagentraining. Sie bauen über Wochen und Monate eine robuste Basis auf, die Sie seltener auf den Notfallkoffer zurückgreifen lässt.

Minimalistische Darstellung verschiedener Stress-Notfall-Techniken

Die folgende Übersicht verdeutlicht die unterschiedlichen Ansätze und ihre jeweiligen Anwendungsbereiche.

Präventiv vs. Akut: Vagusnerv-Strategien im Vergleich
Ansatz Präventives Training Akut-Intervention
Ziel Vagale Grundspannung erhöhen Stress-Unterbrecher
Methoden Tägliche Meditation, Kälte Gesicht in Eiswasser, Seufzer
Dauer 10-20 Min täglich 30 Sek – 2 Min
Effekt Langfristige Resilienz Sofortige Beruhigung

Warum bereits 15 Minuten Stille pro Tag Ihren Stresslevel messbar reduzieren?

In unserer hypervernetzten Welt ist Stille zu einem seltenen Luxus geworden. Doch für unser Nervensystem ist sie kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Bereits 15 Minuten bewusste Stille pro Tag können den Stresslevel messbar reduzieren, indem sie dem Gehirn und dem autonomen Nervensystem eine dringend benötigte Pause von der ständigen Reizüberflutung gönnen. In der Stille hat das sympathische Nervensystem, unser „Gaspedal“, keinen Grund mehr, aktiv zu sein. Der Vagusnerv kann übernehmen und den Körper in einen Zustand der Regeneration und Verarbeitung versetzen.

Diese Wirkung ist tief in unserer Neurophysiologie verankert. Die Expertin Dr. Laura Hottenrott von der Deutschen Sporthochschule Köln erklärt diesen Prozess sehr treffend:

Während der Stille wechselt das Gehirn in den Default Mode, was für die Regeneration und die Verarbeitung von Informationen essenziell ist.

– Dr. Laura Hottenrott, Polar Blog – Deutsche Sporthochschule Köln

Der „Default Mode Network“ ist ein Hirnnetzwerk, das aktiv wird, wenn wir nicht auf äußere Aufgaben fokussiert sind. Es ist entscheidend für Selbstreflexion, Gedächtniskonsolidierung und kreatives Denken. Chronischer Stress unterdrückt dieses Netzwerk. Stille ist also nicht nur die Abwesenheit von Lärm, sondern der Raum, in dem sich unser Gehirn selbst reparieren und organisieren kann. Glücklicherweise muss man für diese Erfahrung nicht ins Kloster gehen. Deutsche Städte bieten eine Vielzahl an zugänglichen Orten, an denen man für einige Momente dem Alltagslärm entfliehen kann.

Oasen der Stille in deutschen Städten finden

  • Stadtbibliotheken mit ausgewiesenen Lese- und Ruhezonen.
  • Kirchen und Dome, die oft außerhalb der Gottesdienstzeiten für stille Einkehr geöffnet sind.
  • „Räume der Stille“, die sich in größeren Unternehmen, Universitäten oder Flughäfen finden.
  • Botanische Gärten und weitläufige Parkanlagen, die natürliche Stille bieten.
  • Friedhöfe, die traditionell als Orte der Ruhe und Besinnung dienen und oft parkähnlich angelegt sind.

Warum zeigen MRT-Studien nach 8 Wochen täglicher Meditation strukturelle Hirnveränderungen?

Meditation wird oft fälschlicherweise als passive Entspannungsübung abgetan. Aus neurobiologischer Sicht ist sie jedoch ein hochwirksames, aktives Training für das Gehirn. Funktionelle MRT-Studien liefern heute den visuellen Beweis dafür, dass regelmäßige Meditationspraxis zu messbaren strukturellen und funktionellen Veränderungen im Gehirn führt. Dies ist das Prinzip der Neuroplastizität: Unser Gehirn ist formbar und passt sich an die Art an, wie wir es benutzen.

Nach etwa acht Wochen täglicher Praxis zeigen sich signifikante Veränderungen in Schlüsselregionen. So verdichtet sich die graue Substanz im präfrontalen Kortex, dem Bereich, der für emotionale Regulation, Konzentration und bewusste Entscheidungen zuständig ist. Gleichzeitig nimmt die Dichte der Amygdala, unseres „Angstzentrums“, tendenziell ab. Das Gehirn wird also buchstäblich umverdrahtet, um weniger reaktiv auf Stressoren zu reagieren und schneller wieder in einen ausgeglichenen Zustand zurückzufinden. Diese strukturellen Anpassungen sind die Grundlage für eine erhöhte vagale Grundspannung und eine verbesserte Stressresilienz.

Die Forschung bestätigt diesen Zusammenhang eindrücklich. Eine Auswertung von Studien im Deutschen Ärzteblatt zeigt, dass nach 8 Wochen regelmäßiger Praxis messbare Veränderungen in der HRV und den damit verbundenen Hirnstrukturen auftreten. Dies ist kein esoterisches Konzept, sondern angewandte Neurophysiologie. Die Tatsache, dass diese Veränderungen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von zwei Monaten eintreten, ist eine enorme Motivation. Die aktuelle Forschung in Deutschland, wie die laufende Studie der Universität Frankfurt zu Stress und Regeneration, unterstreicht die Relevanz und das kontinuierliche Interesse der Wissenschaft an diesen Zusammenhängen, indem sie HRV-Messungen und Kortisolspiegel als zentrale Biomarker verwendet.

Das Wichtigste in Kürze

  • Vagusnerv-Stärkung ist ein gezieltes Training zur Erhöhung der vagalen Grundspannung, nicht eine zufällige Ansammlung von „Hacks“.
  • Neurophysiologische Präzision ist der Schlüssel: Spezifische Atemtechniken und Kälteprotokolle sind weitaus effektiver als vage Ratschläge.
  • Konsistenz schlägt Intensität. Kurze, tägliche Übungen, die durch „Habit Stacking“ in den Alltag integriert werden, bauen langfristige Resilienz auf.

Wie Sie Ihr inneres Gleichgewicht in 4 Wochen zurückgewinnen, ohne Ihren Alltag umzukrempeln

Die größte Hürde bei der Umsetzung neuer Gesundheitsroutinen ist oft nicht das Wissen, sondern die Integration in einen bereits vollen Alltag. Die beste Vagusnerv-Übung ist nutzlos, wenn sie nicht regelmäßig praktiziert wird. Hier kommt das Konzept des „Habit Stacking“ (Gewohnheitsstapelung) ins Spiel. Anstatt zu versuchen, neue, isolierte Gewohnheiten zu etablieren, „stapeln“ Sie eine neue, kurze Übung auf eine bereits bestehende, feste Gewohnheit. Dadurch wird die neue Handlung fast automatisch ausgelöst und erfordert weniger Willenskraft.

Ein 4-Wochen-Plan, der auf diesem Prinzip aufbaut, kann Ihnen helfen, ein solides Fundament für eine höhere vagale Grundspannung zu legen. Der Schlüssel ist, klein anzufangen. Studien zur Herzfrequenzvariabilität zeigen, dass bereits ein paar Minuten täglich ausreichen, um das Nervensystem neu zu konditionieren. Es geht um den Compound-Effekt: Kleine, aber tägliche Einlagen summieren sich über die Zeit zu einer signifikanten Verbesserung Ihrer Stressresilienz. Der folgende Plan ist ein Vorschlag, den Sie an Ihren persönlichen Tagesablauf anpassen können.

Bevor Sie beginnen, ist ein kurzer Selbst-Audit hilfreich, um Ihre Ausgangslage zu verstehen und die passendsten Integrationspunkte zu finden.

Ihr 5-Punkte-Audit zur Vagus-Fitness

  1. Stressoren identifizieren: Listen Sie alle Hauptstressoren in Beruf und Alltag auf (z.B. E-Mail-Flut, Pendeln, Lärm).
  2. Erholungsmuster analysieren: Inventarisieren Sie Ihre aktuellen „Entspannungs“-Aktivitäten (z.B. Netflix, Social Media, Spaziergang).
  3. Körperliche Signale bewerten: Konfrontieren Sie Ihre Symptome (z.B. Verspannungen, Verdauungsprobleme) mit dem Ziel der vagalen Balance.
  4. Aktive vs. Passive Erholung: Markieren Sie, welche Ihrer Aktivitäten wirklich regenerativ (aktiv) und welche nur ablenkend (passiv) sind.
  5. Integrationsplan erstellen: Identifizieren Sie 2-3 kleine Zeitfenster im Alltag, um neue Vagus-Übungen zu integrieren (z.B. morgens im Bad, in der Mittagspause).

Mit dieser Klarheit können Sie nun in das strukturierte Training einsteigen. Der Plan erhöht schrittweise die Dosis, sodass sich Ihr System sanft anpassen kann.

4-Wochen-Programm: Habit Stacking für Ihren Vagusnerv

  1. Woche 1: Fügen Sie 2 Minuten Bauchatmung (physiologischer Seufzer) direkt nach dem Aufbrühen Ihres Morgenkaffees oder Tees hinzu.
  2. Woche 2: Behalten Sie die Atemübung bei und fügen Sie zusätzlich 30 Sekunden kalte Dusche am Ende Ihrer morgendlichen Dusche hinzu.
  3. Woche 3: Fügen Sie zu den bestehenden Gewohnheiten 5 Minuten Stille (ohne Handy) direkt vor dem Schlafengehen hinzu.
  4. Woche 4: Integrieren Sie zusätzlich einen 10-minütigen Spaziergang ohne Ablenkung direkt nach dem Mittagessen.

Dieser schrittweise Ansatz ist der nachhaltigste Weg zum Erfolg. Konzentrieren Sie sich darauf, diesen Plan konsequent umzusetzen, anstatt perfekt zu sein.

Beginnen Sie noch heute mit dem 4-Wochen-Plan und machen Sie den ersten Schritt zu einem regulierten Nervensystem und nachhaltiger Stressresistenz. Ihr Körper und Geist werden es Ihnen danken.

Geschrieben von Andrea Schneider, Andrea Schneider ist approbierte Psychologische Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie und EMDR sowie zertifizierte MBSR-Lehrerin. Seit 12 Jahren behandelt sie in eigener Praxis Patienten mit Stress-, Angst- und Traumafolgestörungen und leitet regelmäßig Achtsamkeitskurse in Unternehmen und Kliniken.